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Neues Digitalministerium: So will Schwarz-Rot das Land digitalisieren

Nun soll es endlich kommen: ein eigenständiges Digitalministerium. Das neue Ressort soll verschiedene Kompetenzen zusammenführen, die bislang verstreut waren. Was ändert sich damit, was bleibt gleich? Und was kommt zu kurz? Eine Analyse.

Thomas Jarzombek (CDU), Karsten Wildberger (parteilos) und Philipp Amthor (CDU)
Deutschlands Digitalisierungs-Trio (von links nach rechts) – Thomas Jarzombek (CDU), Karsten Wildberger (parteilos) und Philipp Amthor (CDU). – Alle Rechte vorbehalten Jens Oellermann

Deutschland bekommt erstmals ein eigenes Ministerium für Digitalpolitik. In einem Organisationserlass [PDF] legte der frisch gewählte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gestern die Aufgabenverteilung innerhalb der neuen Bundesregierung fest und schuf das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS). Dessen genauer Zuschnitt war bisher unklar.

Der Erlass zeigt, dass das BMDS weit mehr Kompetenzen erhält als erwartet. In den vergangenen Jahren kümmerte sich etwa das Bundeskanzleramt um die „strategische Vorausschau“ und Grundsatzfragen der Digitalpolitik. Dafür ist nun das neue Ministerium zuständig, das zunächst in ein Gebäude des Innenministeriums am Berliner Tiergarten zieht. Außerdem bekommt das Haus des Ex-Managers Karsten Wildberger Abteilungen und Zuständigkeiten aus sechs anderen Ministerien.

Wildberger war zuvor unter anderem Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding GmbH. Als Parlamentarische Staatssekretäre stehen ihm Thomas Jarzombek (CDU) für den Bereich Digitalisierung und Philipp Amthor (CDU) für den Bereich Staatsmodernisierung und Bürokratieabbau zur Seite. Auch für den ehemaligen Bundes-CIO Markus Richter beginnt ein neues Kapitel: Sein bisheriges Amt geht im BMDS auf, wo Richter fortan als Staatssekretär wirkt.

Der Zuschnitt des Hauses zeigt: Das Ministerium und damit Digitalisierung spielt in der neuen Regierung eine wichtige Rolle. Ebenfalls deutlich wird, dass das BMDS seinen Fokus dabei stärker auf Wirtschaft und Innovationen legen wird und weniger auf Gemeinwohl und Zivilgesellschaft.

Fußen soll die künftige Digitalpolitik auf drei Säulen. Erstens die Staats- und Verwaltungsdigitalisierung, für die das Digitalministerium sogar weitgehende Autonomie bei der Finanzierung erhält. Zweitens die Daten- und Digitalisierungspolitik und drittens die digitale Infrastruktur.

Wir haben uns das „Ministerium für Umsetzung“ genauer angeschaut. Was ändert sich mit dem neuen Ressort? Was bleibt im Vergleich zur Vorgängerregierung? Und vor welchen Herausforderungen steht der frisch berufene Minister als „Mann aus der Wirtschaft“?

Erste Säule: Moderner Staat mit digitaler Verwaltung

Um die Staatsmodernisierung voranzutreiben, wandern einige Abteilungen und Zuständigkeiten aus dem Bundesinnenministerium (BMI) ins neue Digitalministerium – allen voran die digitale Verwaltung und das Onlinezugangsgesetz (OZG). Bei allen Bemühungen war die Vorgängerregierung hier nur schleppend vorangekommen, was allerdings weniger an einer fehlenden Bündelung der Zuständigkeiten als vielmehr an den Bundesländern gelegen hat. Daher wird das BMDS sich vor allem darum bemühen müssen, einheitliche Standards sowie eine konsequente Ende-zu-Ende-Digitalisierung in Absprache mit den Ländern und Kommunen auf möglichst allen Verwaltungsebenen zu erreichen.

Dieser Prozess soll offenbar Hand in Hand mit der IT-Beschaffung gehen. Sie war bislang ebenfalls beim BMI angesiedelt. Der Bereich betrifft die Informationstechnik der Bundesverwaltung, die wiederum eine wichtige Grundlage für den sogenannten digitalen Staat ist. Der öffentliche IT-Dienstleister des Bundes, das Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) ist fortan ebenfalls unter dem Dach des Digitalministeriums angesiedelt – und damit auch die Zuständigkeit für die „souveräne Cloud“.

Ringen um ITZBund

In den vergangenen Jahren war das ITZBund beim Finanzministerium angedockt, das sich dagegen gewehrt hatte, die Zuständigkeit dafür abzugeben. Das Zentrum betreibt etwa die Bundescloud, die Rechenzentren des Bundes und weitere Software und Infrastruktur, die die Bundesverwaltung nutzt. Das Budget dafür ist gewaltig: 1,59 Milliarden Euro laut Website und es könnten zukünftig noch mehr werden.

Auch die Zuständigkeit für die Netzinfrastrukturen des Bundes wandert vom BMI ins Digitalministerium. Sie galten dort als „zentrales Nervensystem“ der modernen Behördenarbeit, die besonders geschützt werden müssen. Das Digitalministerium soll zudem fortan auch für die Cybersicherheit zuständig sein – wobei laut Erlass „die spezifischen Anforderungen der Sicherheitsbehörden an die Netze“ unter der Obhut des BMI verbleiben sollen.

Weitgehende Hoheit über IT-Ausgaben

Die bedeutende Rolle des BMDS unterstreicht auch die Tatsache, dass das Haus nicht nur über ein eigenes Budget, sondern auch über „einen Zustimmungsvorbehalt für alle wesentlichen IT-Ausgaben der unmittelbaren Bundesverwaltung“ verfügt. Das bedeutet, dass nur dann Gelder fließen können, wenn das Digitalministerium dem zuvor zustimmt – mit einzelnen Ausnahmen für Sicherheitsaufgaben und den Steuerbereich.

Damit könnte ein großes Manko der Vorgängerregierung behoben werden. Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag noch ein Digitalbudget versprochen. Statt eines speziell auf Digitalisierungsprojekte zugeschnittenen Budgets gab es jedoch Haushaltskürzungen. Die neue Bundesregierung hat immerhin schon mal erkannt, dass Digitalisierungsprojekte ein festes Budget benötigen.

Offene Fragen und Widersprüchliches

Offen ist derzeit noch, wie sehr die Staats- und Verwaltungsdigitalisierung unter dem Vorzeichnen des „Bürokratieabbaus“ stehen wird, den qua Amtsbezeichnung Philipp Amthor vorantreiben soll. Hier musste das Justizministerium Zuständigkeiten ans BMDS abgeben, etwa die „Geschäftsstelle für Bürokratieabbau“ und die Zuständigkeit für bessere Rechtssetzung. Auch die zehn ehrenamtlichen Mitglieder des nationalen Normenkontrollrats arbeiten ab jetzt für das Digitalministerium. Der Rat berät etwa beim Bürokratieabbau und bei der Planung neuer Gesetze.

Ebenso unklar ist, wie sich diese Verschiebungen auf das Bundesamt für Informationstechnik (BSI) auswirken, das hierzulande für die Cybersicherheit zuständig ist, oder auf das ressortübergreifende Großprojekt „IT-Konsolidierung Bund“, das bisher die IT-Beschaffung gebündelt organisierte. Gleichsam unklar ist, ob die Föderale IT-Kooperation (FITKO), die dem IT-Planungsrat zuarbeitet, weiterhin beim BMI angesiedelt sein wird oder ebenfalls zum Digitalministerium wechselt. Naheliegend erscheint letzteres, da nicht nur beim Onlinezugangsgesetz eine Menge an Koordinierung notwendig sein wird – und dieser Brocken landet beim BMDS. Ähnlich in der Schwebe zwischen BMI und BMDS hängt das Zentrum Digitale Souveränität (ZenDiS), das im Erlass keine Erwähnung findet.

Absprachebedarf scheint es nicht zuletzt auch bei der Frage zu geben, welches Ministerium die Verantwortung für den Bereich digitale Identitäten übernimmt. Laut Organisationserlass behält das Innenministerium die Zuständigkeit für „das Pass- und Ausweiswesen sowie das Identitätsmanagement“. Gleichzeitig aber schreibt das Digitalministerium in seiner ersten Pressemitteilung, dass es künftig auch für die „Einführung einer digitalen Identitäts-Wallet und von Bürgerkonten“ verantwortlich sei.

Zweite Säule: Daten- und Internationale Digitalpolitik

Das neue Ministerium übernimmt gleich zwei große Brocken aus dem bisherigen BMDV von Volker Wissing: Digital- und Datenpolitik sowie digitale Infrastrukturen, also Glasfaser- und Mobilfunkausbau.

Die Abteilung „Digital- und Datenpolitik“ war in der Ampel die zentrale Einheit für die Gestaltung der Digitalisierung – oder hätte es zumindest werden können, wenn SPD, Grüne und FDP sich nicht doch für eine totale Zersplitterung der Kompetenzen entschieden hätten. Trotzdem war die Abteilung eine Impulsgeberin für die Digitalpolitik der Ampel, verantwortete etwa die Datenstrategie, brachte ein Mobilitätsdatengesetz auf den Weg und war für die Umsetzung von EU-Datengesetzen wie dem Data Act verantwortlich. Auch der Beirat zur Digitalstrategie der Ampel war hier angesiedelt.

Selbst wenn Abteilungsleiter Benjamin Brake sich schon mal für Deutschlands „Nein“ zur Chatkontrolle starkmachte, war die Abteilung primär auf Wirtschaft und Innovationen ausgerichtet und passt deshalb vermutlich hervorragend in das neue Ministerium. Auch zuvor beim Wirtschaftsministerium und beim Innenministerium angesiedelte Aspekte der Datenpolitik wandern in das BMDS. Unklar ist vorerst, ob das auch für das Thema Open Data gilt oder ob dies als ein Aspekt des Bereichs Open Government, von dem im Organisationserlass nicht explizit die Rede ist, im Innenministerium verbleibt.

Immerhin besteht kein Zweifel, dass mit der Digital- und Datenpolitik auch die Verantwortung für internationale Digitalpolitik in das BMDS zieht. Es wird Deutschland beispielsweise in internationalen Foren wie den G7 oder G20, Internet-Governance-Gremien und bei der UN vertreten. Entsprechend der im alten Ministerium erarbeiteten Strategie für internationale Digitalpolitik soll es sich dabei für ein offenes und sicheres Internet einsetzen und strategische Partnerschaften „besonders mit Ländern des globalen Südens“ ausbauen.

Künftig wird das Haus außerdem für die Umsetzung der KI-Verordnung in Deutschland zuständig sein und betont bereits, dass diese innovations- und wirtschaftsfreundlich ausfallen soll. Hier stehen in den kommenden anderthalb Jahren noch einige Entscheidungen an, bis alle Teile des wegweisenden Gesetzes 2026 in Kraft treten – etwa, welche Behörde offiziell die Aufsicht über die Einhaltung von Regeln führen wird.

Dritte Säule: Digitale Infrastruktur

Dem Koalitionsvertrag zufolge steht beim Infrastrukturausbau kein grundlegender Paradigmenwechsel bevor. Anders als frühere Regierungen gibt die schwarz-rote Koalition zwar keine genauen Jahreszahlen an, bis wann sie ihre Ziele erreichen will. Sie dürfte sich jedoch an den Etappenmarkern der EU orientieren: Bis Ende des Jahrzehnts sollen allen Bürger:innen gigabitfähige Leitungen und 5G-Mobilfunkverbindungen zur Verfügung stehen.

Um das zu erreichen, soll das inzwischen zehn Jahre alte staatliche Förderprogramm – unter großen Geburtsschmerzen vom damaligen Infrastruktur- und nunmehrigen Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf den Weg gebracht – weitergeführt werden. Hier sind bereits Milliardenprojekte von Ländern und Kommunen geplant und bewilligt, schon deshalb wäre ein völliger Neuanfang kontraproduktiv.

Auf bereits gelegten Schienen dürften generell weite Teile der sonstigen Infrastrukturpolitik weiterfahren. Angekündigt ist etwa ein neuer Anlauf für ein Beschleunigungsgesetz, welches den Ausbau unter „überragendes öffentliches Interesse“ stellen und Bürokratie abbauen dürfte – allesamt Ziele, denen sich auch Schwarz-Rot verschrieben hat.

Wo das Digitalministerium nicht zum Zuge kommt

Zugleich muss das BMDS auch die eine oder andere Feder lassen. An das Forschungsministerium muss es die zuvor beim BMDV angesiedelten Kompetenzen für die Förderung von „U-Spaces und Advanced Air Mobility“ abgeben. Hinter diesen Begriffen verstecken sich die Zuständigkeiten für zivile Drohnen oder die viel beschworenen Flugtaxis. Ins BMWE wandern zudem Erdbeobachtung, Satellitennavigation und -kommunikation sowie die Deutsche Galileo-PRS-Behörde.

Auch aus dem Wirtschaftsministerium landen einige Agenden mit Digitalbezug nicht beim BMDS, sondern beim Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR). Dazu zählen etwa die Zuständigkeiten für Raumfahrt einschließlich des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

Das überrascht bereits wegen einer Personalie: So war der frisch berufene BMDS-Staatssekretär Thomas Jarzombek von 2018 bis 2021 Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, später Beauftragter des Wirtschaftsministeriums für digitale Wirtschaft und Start-ups. Nun steigt der langjährige Digitalpolitiker zum parlamentarischen Staatssekretär im Digitalministerium auf, kann aber viele seiner Kompetenzen nicht mitnehmen.

Zudem ziehen weitere Digital-Zuständigkeiten ins Forschungsministerium und damit zur neu bestellten Bundesministerin Dorothee Bär. Die CSU-Politikerin widmet sich künftig unter anderem Grundsatzfragen der nationalen und internationalen Innovations- und Technologiepolitik, der Entwicklung digitaler Technologien, Gigafactorys und Computerspielen.


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